Zum Geleit Botschafter Richard Wotava
Mit einem jungen, engagierten Team

Als mich meine Mutter im Hinblick auf die herrschende Lebensmittelknappheit in Wien 1943 im Alter von zehn Jahren zu einem ihr bekannten Bauern in Niederösterreich brachte, um einige Wochen bei einfacher, aber gesunder Landkost zu verbringen, traf ich dort einen nur um drei Jahre älteren ukrainischen Burschen, der im zarten Alter von 13 Jahren auf das Gebiet des heutigen Österreich verschleppt worden war, um hier Zwangsarbeit zu verrichten. Obwohl wir uns mit dem jungen Zwangsarbeiter infolge sprachlicher Probleme kaum verständigen konnten, war doch zu ersehen, dass es sich bei ihm um einen fröhlichen jungen Menschen handelte, den allerdings immer wieder auch melancholische und traurige Momente überkamen, weil ihm wahrscheinlich nicht klar war, warum er aus seiner Heimat und von seiner Familie, noch dazu im Kindesalter, in ein fernes, fremdes Land deportiert hatte werden müssen.

Der junge Ukrainer arbeitete tüchtig in der Landwirtschaft des besagten Bauern mit und leistete angesichts des Mangels an Männern, die ja zum überwiegenden Teil eingerückt waren, einen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Lebensmittelerzeugung während des Krieges, die ohne das vom NS-Regime an Millionen von Menschen praktizierte Zwangsarbeiter-System vielfach zusammengebrochen wäre. Ich konnte natürlich damals nicht ahnen, dass ich mich nach meiner Pensionierung als Angehöriger des Auswärtigen Dienstes insgesamt fünf Jahre lang als Generalsekretär des Österreichischen Versöhnungsfonds mit Zwangsarbeiterfragen würde befassen müssen. Naturgemäß erinnerte ich mich auch des damals jungen ukrainischen Zwangsarbeiters, der mit 13 Jahren aus der Ukraine nach Österreich deportiert worden war, und fragte mich, ob er wohl auch von der ukrainischen Partnerorganisation unserem Fonds für die freiwillige symbolische finanzielle Leistung für seine Zwangsarbeit vorgeschlagen worden war. Meine Nachforschungen ergaben, dass dies der Fall war, und riesengroß war unsere gegenseitige Freude, als ich meinen damaligen Zwangsarbeiter-Freund – in der Tat hatte ich mich mit ihm sehr gut verstanden, wir hatten gelegentlich zusammen Fußball gespielt – im April 2005 nach über 60 Jahren in Lemberg wiedersah, wo wir mit Hilfe eines Dolmetschers Reminiszenzen an unseren gemeinsamen Aufenthalt bei dem niederösterreichischen Bauern austauschten.

Als Generalsekretär des Österreichischen Versöhnungsfonds wurde ich bei meiner Vortragstätigkeit und bei Gesprächen immer wieder gefragt, warum denn auch die in der Landwirtschaft tätigen Zwangsarbeiter eine wenn auch nur symbolische finanzielle Leistung bekämen, da es dieser Gruppe von Zwangsarbeitern ja oft wesentlich besser ergangen sei als so manchen ihrer Landsleute in ihrer Heimat. Aufgrund meiner in der Kindheit mit dem oberwähnten jungen ukrainischen Zwangsarbeiter gemachten Erfahrung war es mir ein Leichtes, solche Argumente unter Hinweis auf den enorm wichtigen Beitrag zur Lebensmittel-Versorgung der einheimischen Bevölkerung, auf das oft jugendliche Alter der verschleppten Zwangsarbeiter usw. zu entkräften.

Der Umstand, dass in die Leistungen des Österreichischen Versöhnungsfonds auch die in der Landwirtschaft eingesetzten Zwangsarbeiter einbezogen wurden, hat Österreich zusätzliche positive Reaktionen in der Staatengemeinschaft eingetragen, die auch die Freiwilligkeit der Schaffung des Versöhnungsfonds und seine großzügige Dotierung zu würdigen wusste.

Nach meiner formellen Bestellung zum Generalsekretär des Österreichischen Versöhnungsfonds durch das Kuratorium machte ich mich daran, ein geeignetes Büro zu finden und das notwendige Personal zu rekrutieren. Ich war überrascht, dass es mir in relativ kurzer Zeit gelang, überaus kompetente, sprachkundige und auch charakterlich für die bevorstehende Aufgabe sehr geeignete, engagierte Mitarbeiter zu finden, die in der Folge wunderbar miteinander harmonierten und mit deren Hilfe es möglich war, die überaus schwierige und komplexe Aufgabe zu klären, die in aller Welt verstreuten Zwangsarbeiter aus 61 Ländern, die zum Versöhnungsfonds ressortierten, ausfindig zu machen und ihnen die zuerkannten Leistungen zu überweisen. Es war auch ein Vergnügen, mit diesem jungen, engagierten Team zusammenzuarbeiten, das bei der Festsetzung unserer Arbeitsmethoden so bereitwillig auf alle in diesem Zusammenhang vorgebrachten Ideen einging und selbst immer wieder neue Vorschläge machte, die in die Praxis Eingang fanden. Wie erfolgreich wir auch vollkommen neue Wege beschritten, möge unter anderem aus der Tatsache ersehen werden, dass es uns im Zusammenhang mit der Überprüfung von Anträgen vormaliger Zwangsarbeiter aus der ehemaligen Sowjetunion gelungen ist, sogar Einsicht in die Unterlagen des sowjetischen Geheimdienstes zu nehmen, der ja jeden in die Heimat zurückgekehrten Zwangsarbeiter in einer so genannten Filtrierungskommission einem detaillierten Verhör unterzogen hatte.

Das Mitarbeiterteam des Österreichischen Versöhnungsfonds war umso mehr mit Feuereifer bei der Sache, als sich in tausenden Fällen herausstellte, wie sehr die ehemaligen Zwangsarbeiter die Tatsache zu würdigen wussten, dass sie vom Versöhnungsfonds zum ersten Mal als Opfer des NS-Regimes anerkannt worden sind – eine Anerkennung, die ihnen vielfach von ihren Heimatländern versagt worden war. Für viele tausende in Osteuropa lebende Zwangsarbeiter stellte aber auch die finanzielle Leistung des ÖVF eine entscheidende Verbesserung der Lebensqualität sicher, z. B. durch die Möglichkeit der Anschaffung von teuren Medikamenten, medizinischen Geräten usw.

Die im Großen und Ganzen sehr befriedigende und vielfach in Österreich wie im Ausland geschätzte Tätigkeit des Österreichischen Versöhnungsfonds, dessen Aktivitäten große staatspolitische Bedeutung zukam, wäre ohne die engagierte Arbeit aller Mitarbeiter im Fonds nicht möglich gewesen. Am Ende der Tätigkeit des Versöhnungsfonds lässt sich ohne falsche Bescheidenheit feststellen, dass die vom österreichischen Steuerzahler aufgebrachte Dotierung des Österreichischen Versöhnungsfonds im Hinblick auf eine gedeihliche Zukunft in Richtung Völkerverständigung und harmonischer Beziehungen zwischen den Staaten sicherlich eine gut angelegte Investition war, die ihre positiven Resultate schon nach sich gezogen hat und in der Zukunft noch bewirken wird.

Botschafter Dr. Richard Wotava,
Generalsekretär des Österreichischen Versöhnungsfonds 2001-2005
 



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